Kommunikation & Recht (K&R), 2018, 313: „Widerrufsjoker“ für Anwaltsverträge?“

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Zugleich Kommentar zu BGH, Urteil vom 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ff. (in diesem Heft)

Der BGH hat mit seiner Entscheidung vom 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16 erneut eine zentrale Frage des Verbraucherschutzrechts entschieden. Gegenstand der Entscheidung war die Frage, ob Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Anwalt, die ausschließlich mithilfe von Fernkommunikationsmitteln geschlossen wurden, einem Widerrufsrecht unterliegen. Die Entscheidung hat in dreierlei Hinsicht große Bedeutung: Sie trifft allgemein Aussagen zur Anwendbarkeit des Fernabsatzrechts, sie enthält Antworten auf die Frage, was für Anwaltsverträge galt, die vor dem 14. 6. 2014 im Wege des Fernabsatzes geschlossen wurden und was gilt, wenn die Widerrufsfrist aus danach geschlossenen Verträgen noch nicht abgelaufen ist, und sie hat maßgebliche Auswirkung auf die Gestaltung von Verträgen zwischen Anwalt und Verbrauchern heute. Der Beitrag soll zunächst die neue Rechtsprechung des BGH erläutern, setzt sich mit den Risiken von in der Vergangenheit geschlossenen Verträgen auseinander und erläutert die Anforderungen an künftig zu schließende Verträge.

I. Überblick

Das Widerrufsrecht ist das zentrale Verbraucherrecht bei Fernabsatzgeschäften.1 Gerade erst hat der BGH in zahlreichen Entscheidungen Verbrauchern das Recht zuerkannt, ihre Darlehens- und Versicherungsverträge zu widerrufen.2 Grund für das viele Jahre zurückwirkende Widerrufsrecht war, dass die Banken und Versicherungen entweder gar nicht oder fehlerhaft über das einem Verbraucher zustehende Widerrufsrecht belehrt hatten. Man mag die Entscheidungen bewerten, wie man möchte.3 Tatsache ist, dass der BGH das formale Argument einer richtigen Widerrufsbelehrung höher bewertet, als das Rechtsinstitut von Treu und Glauben. Nach altem Recht führte praktisch jeder Fehler bei der Belehrung eines Verbrauchers über sein Widerrufsrecht zu einem unendlichen Widerrufsrecht.

Nutznießer dieser Rechtsprechung waren nicht nur die Verbraucher, sondern auch im großen Maße Anwaltskanzleien, die die Ansprüche der Verbraucher massenhaft durchgesetzt haben. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass Gegenstand des BGH-Verfahrens nun gerade die fehlende Belehrung über das Widerrufsrecht durch eine Anwaltskanzlei war.

Die Entscheidung des BGH ist zukunftsweisend. Der Markt der Beratung im Internet ist in den letzten zehn Jahren massiv gewachsen. Immer mehr Angebote beruhen auf standardisierten Leistungen, eine individuelle Beratung ist nicht vorgesehen. Die notwendigen Informationen werden über die Eingabe von Masken oder Fragebögen beim Verbraucher eingeholt und in der Folge mehr oder weniger automatisiert verarbeitet. Es ist zu beobachten, dass Informationen zum Widerrufsrecht nicht immer rechtskonform vorgehalten werden. Die vorliegende Entscheidung befasst sich lediglich mit der Honorarforderung einer Anwaltskanzlei. Sie geht allerdings in ihrer Bedeutung viel weiter, da damit natürlich auch die Widerrufbarkeit von bestehenden Vertragsverhältnissen nicht nur für die Vergangenheit höchstrichterlich dokumentiert ist.

II. Die Entscheidung

Gegenstand der Klage war die Forderung einer Anwaltskanzlei auf Bezahlung des anwaltlichen Honorars für die außergerichtliche Tätigkeit. Sie war Teil eines Strukturvertriebs, innerhalb dessen eine privatwirtschaftliche GmbH für die Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber einer Fondsgesellschaft warb. Neben einem Fragebogen legte diese Gesellschaft den Interessenten auch eine Vollmacht für die klagende Anwaltskanzlei bei. Der Beklagte hatte diese Vollmacht unterzeichnet und mit den ausgefüllten Unterlagen an die Gesellschaft zurückgesandt. Mittels eines Serienbriefes machte die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei sodann die Ansprüche gegenüber der Fondsgesellschaft geltend. Da außergerichtlich keine Einigung erzielt wurde, forderte die Rechtsanwaltskanzlei den Beklagten auf, eine gerichtliche Vollmacht zu unterzeichnen. Dies tat der Beklagte allerdings nicht, sondern widerrief seine der Anwaltskanzlei gegenüber erteilte Vollmacht. Die Anwaltskanzlei klagte sodann auf die außergerichtliche Geschäftsgebühr.

Dieser Anspruch stand der klagenden Anwaltskanzlei nach Ansicht des BGH nicht zu. Zwar ließ der BGH die Frage offen, ob überhaupt ein Anwaltsvertrag4 zwischen dem Beklagten und Kläger zustande gekommen war, dieser sei jedoch wirksam widerrufen worden. Der BGH stellte zunächst klar, dass Anwaltsverträge Dienstleistungen im Sinne des § 312 b Abs. 1 S. 1 BGB a. F. sein können. Eine klare Absage erteilte der BGH der Ansicht, dass es sich bei der Erbringung einer anwaltlichen Leistung um eine persönliche Dienstleistung handle, so dass die Regeln über Fernabsatzverträge keine Anwendung fänden. Der Begriff der Dienstleistung sei aufgrund der unionsrechtlichen Herkunft des Begriffes weit auszulegen. Dafür spreche auch Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelungen. Denn auch bei einem Anwaltsvertrag könne der Verbraucher vor Vertragsschluss die angebotene Leistung nicht in Augenschein nehmen. Zudem habe der Gesetzgeber Anwaltsverträge auch nicht ausdrücklich aus dem Geltungsbereich des Fernabsatzrechts herausgenommen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass sich Anwälte der modernen Fernabsatztechniken bedienen würden, daher müsste sich der Schutz des Fernabsatzrechts auch auf solche Verträge erstrecken. Gemäß § 312 b Abs. 2 BGB werde widerleglich vermutet, dass ein Fernabsatzvertrag auch im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Dienstleistungs- und Vertriebssystems erfolge. Folglich habe der Anwaltskanzlei der Nachweis oblegen, das Gegenteil zu beweisen. Diesen Nachweis habe die Kanzlei nicht geführt. Ein für den Fernabsatz organisiertes Dienstleistungs- und Vertriebssystem liege immer dann vor, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen habe, die notwendig seien, um regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen.5 Mit Erwägungsgrund 20 der RL 2011/83/EU6 nahm der BGH an, dass das Vorhalten von Informationen auf einer Internetseite einschließlich der technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Vertrages, wie etwa Briefkasten, E-Mail-Adresse, Telefon oder Faxnummer nicht genügen, um von einem organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem auszugehen. Der von der klagenden Kanzlei verwendete Strukturvertrieb genüge in jedem Fall, da sich die Kanzlei eines fremden Organisations- und Dienstleistungssystems bedient habe. Dafür spreche auch die Einbeziehung einer Vielzahl von Kapitalanlegerfällen und die Art der Kontaktaufnahme, sowie die hohe Standardisierung der Schreiben. Das ganze System sei darauf angelegt, keinen persönlichen Kontakt zu haben. Unerheblich sei allerdings, wenn später eine persönliche Kontaktaufnahme stattfände, auch wenn dies eigentlich von Anfang an nicht geplant oder gewünscht war.

III. Anwendungsbereich

Zunächst muss nach altem und neuem Recht untersucht werden, ob die fernabsatzrechtlichen Regelungen auf Anwaltsverträge mit Verbrauchern überhaupt Anwendung finden können. Die Entscheidung des BGH erging noch zum alten Recht. Dessen § 312 b Abs. 3 BGB nannte in den Ziffern 1 – 7 Ausnahmen, bei deren Vorliegen ein Fernabsatzvertrag nicht gegeben sein sollte. Im geltenden Recht wurde dieser Katalog in § 312 BGB wesentlich erweitert. Beiden Regelungsregimen ist jedoch gemein, dass Anwaltsverträge nicht ausdrücklich genannt werden. Es ist nicht einmal ein Ausnahmegrund erkennbar, der einem Anwaltsvertrag auch nur ähnlich ist. Die Ausnahmevorschriften sind ohnehin eng auszulegen.7 Eine Erweiterung über den Wortlaut hinaus oder eine Analogie verbieten sich mithin. Auch allgemeine Erwägungen, dass ein Anwaltsvertrag nicht den fernabsatzrechtlichen Regelungen unterfallen soll, finden im Gesetz keinen Rückhalt. Insbesondere kann nicht aus der Art des Inhalts des Geschäfts auf Ausschluss der Anwendung der fernabsatzrechtlichen Regelungen geschlossen werden. Die Frage des Zustandekommens eines Fernabsatzvertrages knüpft ausschließlich an die Art und Weise des Zustandekommens und nicht an den Inhalt des Vertrages an.8 Die insbesondere von Untergerichten dazu ergangene Rechtsprechung, die überwiegend ein Widerrufsrecht verneint,9 vermengt unzulässig die Frage der Anwendbarkeit des Verbraucherschutzrechts insgesamt und der Widerrufbarkeit eines Fernabsatzvertrages.

Auch die Vorstellung, dass ein Verbraucher bei einem Anwaltsvertrag stets die Leistung des Anwalts vor Vertragsschluss nicht einschätzen könne, verhilft selbstverständlich nicht zu einem Widerrufsrecht.10 Dies ist faktisch bei jedem Fernabsatzvertrag der Fall und diesem Vertragstyp immanent.

IV. Fernabsatzvertrag

Für ein Widerrufsrecht ist weiter Voraussetzung, dass auch ein Fernabsatzvertrag vorliegt und keine Ausnahme vom Widerrufsrecht gesetzlich normiert ist.

1. Vertragsschluss mit Fernkommunikationsmitteln

Gemäß § 312 b BGB a. F. und § 312 c Abs. 1 BGB muss der Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher ausschließlich unter Zuhilfenahme von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen sein. Das neue Recht verlangt zudem, dass auch die Verhandlungen über das Zustandekommen des Vertrages nur unter Zuhilfenahme von Fernkommunikationsmitteln geführt wurden. Das geltende Recht geht insoweit also weiter als das alte Recht.

Abgestellt wird in beiden Fällen allerdings nur auf den Zeitpunkt bis zum Zustandekommen des Vertrages. Die Frage also, wie der Vertrag später durchgeführt wird, ist für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrags ohne Bedeutung.11 Die Fernkommunikationsmittel sind beispielhaft in § 312 b Abs. 2 BGB a. F. bzw. § 312 c Abs. 2 BGB aufgeführt. Dafür ist es unerheblich, ob das Fernkommunikationsmittel lediglich sporadisch und ohne ein strukturiertes System zum Abschluss von Fernabsatzverträgen eingesetzt wird. Es kommt nur darauf an, dass tatsächlich auf beiden Seiten (nach geltendem Recht weder Vertragsverhandlungen) noch der Vertragsschluss unter gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit beider Vertragsparteien stattgefunden hat.

Der BGH geht in seiner Entscheidung weiter davon aus, dass zugunsten des Verbrauchers ein Vertragsschluss bereits zu einem frühen Zeitpunkt anzunehmen ist. So scheint der BGH12 auch eine konkludente Annahme genügen lassen zu wollen. Ruft beispielsweise ein Ratsuchender bei einem Anwalt an, übersendet ihm dann in der Folge Unterlagen und vereinbart einen Termin zu einer persönlichen Besprechung, so kann bereits durch die Aktenanlage und den Konfliktcheck ein (Fernabsatz-) Vertrag zustande gekommen sein. Dies muss in der anwaltlichen Praxis beachtet werden, in Zweifelsfällen muss der Anwalt darauf hinweisen, dass ein Mandat erst durch Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrages in der Kanzlei zustande kommt.

Es bleibt also festzuhalten, dass grundsätzlich eine Vielzahl von Verträgen zwischen Anwalt und Verbrauchern als Fernabsatzvertrag qualifiziert werden kann.

2. Für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem

312 b Abs. 1 S. 1, 2. Halbsatz BGB a. F. und § 312 c Abs. 1, 2. Halbsatz BGB enthalten eine widerlegliche Vermutung, dass ein Fernabsatzvertrag stets auch in einem dafür organisierten System geschlossen wurde.13 Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung „es sei denn“ normiert insoweit eine Beweislastumkehr. Der Unternehmer kann folglich nachweisen, dass er kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem unterhält, mit der Folge, dass ein Fernabsatzvertrag nicht vorliegt.14 Problematisch und hinsichtlich der Folgen einer Fehleinschätzung in seinen Konsequenzen fatal ist die Frage, wann ein solches für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorliegt. Nähert man sich dieser Frage negativ, so wird man mit dem BGH feststellen müssen, dass das bloße Vorhalten von Kommunikationsmöglichkeiten, so z. B. die Angabe einer Telefonnummer, einer E-Mail-Adresse oder einer Faxnummer dafür nicht genügt.15 Dies sieht auch die Verbraucherrechterichtlinie in Erwägungsgrund 20 so.16 Aber auch die Ansicht des BGH, das Vorhalten von „personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen […] die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen“,17 trifft die Sache nicht ganz. Es geht nicht darum, Fernabsatzgeschäfte „zu bewältigen“, sondern es geht ausschließlich um die Frage, ob ein System geschaffen wurde, Fernabsatzverträge zu schließen. Auf welche Art und Weise die Aufträge tatsächlich bearbeitet werden, ist für die Frage des Fernabsatzvertrags ohne jede Relevanz.

Legt man diese Erkenntnis für die Frage der Organisation zugrunde, so ist maßgeblich darauf abzustellen, wie ein Anwalt im Internet auftritt. Wird auf der Internetseite damit geworben, man möge Unterlagen zur Prüfung hereinreichen, wird eine kostenlose Erstberatung per Telefon oder eine Online-Prüfung von Vertragsunterlagen angeboten, wird eine bundesweite Vertretung oder extensiv mit der Erfahrung in tausend gleichgelagerten Fällen geworben, so wird in all diesen Fällen die Organisation der Anwaltskanzlei darauf ausgerichtet sein, Mandate im Wege eines Fernabsatzvertrages zu akquirieren. Gleiches gilt für die Fälle, in denen Anwaltskanzleien durch Plattformen beauftragt werden, wobei die Plattformen faktisch die Akquise betreiben, die angebotenen Leistungen aber aufgrund mangelnder Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gar nicht selbst bearbeiten können.

Weiterhin reißt der BGH die spannende Frage an, inwieweit es darauf ankommt, ob eine Kanzlei neben der Generierung ihrer Mandate im Wege von Fernabsatzgeschäften noch andere Möglichkeiten anbietet, Verträge zu schließen.18 Grundsätzlich wird man dabei von Folgendem ausgehen müssen: Wenn eine Kanzlei ein System vorhält, das gezielt auf den Abschluss von Fernabsatzverträgen ausgelegt ist, ein Fernabsatzvertrag allerdings über einen anderen Kanal als den von der Kanzlei gewählten zustande kommt (beispielsweise über eine allgemein erreichbare E-Mail-Adresse statt über ein auf einer Webseite vorgegebenes Formular), so ist das gesamte Geschäft der Kanzlei von diesem für den Fernabsatz organisierten Dienstleistungs- oder Vertriebssystems infiziert. Es kommt nämlich nicht auf das einzelne Fernkommunikationsmittel an, sondern auf die Frage, ob die Kanzlei sich insgesamt so organisiert hat, dass sie Fernabsatzverträge schließt. Etwas anderes geben der Wortlaut von § 312 b Abs. 2 BGB a. F. und § 312 c Abs. 1 BGB nicht her.

V. Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung des BGH hat für Rechtsanwälte, die überwiegend mit Verbrauchern Verträge schließen, erhebliche Auswirkungen. Dies gilt nicht nur für die künftig zu schließenden Verträge, sondern auch für Verträge, die in der Vergangenheit liegen.

1. Verträge aus der Vergangenheit

Für alle Verträge, die vor dem 13. 6. 2014 im Wege eines Fernabsatzvertrages geschlossen wurden, gilt die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 32 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB. Wenn der Verbraucher nicht richtig über das Widerrufsrecht belehrt wurde, erlosch sein Widerrufsrecht mit Ablauf des 27. 6. 2015. Dazu gehören selbstverständlich die vor- und nachvertragliche Belehrung, die im Zweifel vom Anwalt bewiesen werden können muss. Der Widerruf solcher Altverträge bleibt natürlich auch nach Ablauf des 27. 6. 2015 wirksam, sofern er vor diesem Zeitpunkt erklärt wurde.19

Für Verträge ab dem 13. 6. 2014 sieht das neue Recht in § 356 Abs. 3 S. 2 BGB vor, dass das Widerrufsrecht spätestens ein Jahr und 14 Tage nach Vertragsschluss erlischt (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB). Verträge, die länger zurück geschlossen wurden, sind folglich mittlerweile nicht mehr widerrufbar. Insoweit hat der Gesetzgeber ein erträgliches Maß an Rechtssicherheit geschaffen.20 Für alle später geschlossenen Verträge, die dem Fernabsatzrecht unterliegen, besteht nach wie vor die Möglichkeit des Widerrufs, wenn unzutreffend über das Widerrufsrecht belehrt wurde.

Insbesondere im Bereich Filesharing und Kapitalmarktrecht dürfte die Entscheidung bei zahlreichen Anwaltskanzleien erhebliche Besorgnis erregen. Die Fälle, bei denen der beauftragende Verbraucher oder die hinter ihm stehende Rechtsschutzversicherung prüfen kann, ob die Anwaltsgebühren nicht zurückgeholt werden können, dürften zahlreich sein. Noch schlimmer ist es womöglich dort, wo die Verfahren bereits verloren gegangen sind. Im Falle des Widerrufs würde dies wohl dazu führen, dass die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei auch sämtliche Verfahrenskosten zu tragen hat.

2. Zukünftige Verträge

Für künftig zu schließende Verträge müssen die Kanzleien über das Bestehen eines Widerrufsrechts belehren, wenn sie Verbrauchern im Wege eines Fernabsatzvertrages ihre Leistungen anbieten. Hier wird insbesondere § 356 Abs. 4 BGB zu beachten sein. Die Problematik dieser Vorschrift liegt darin, dass ein Verbraucher sein Widerrufsrecht praktisch bei einem Anwaltsvertrag erst verliert, wenn das Mandat vollständig abgeschlossen ist.

Zentrale Bedeutung werden daher künftig auch die Vorgaben in § 357 Abs. 8 BGB haben. Danach muss ein Verbraucher dem Anwalt Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen bezahlen, sofern er denn richtig über das ihm zustehende Widerrufsrecht belehrt wurde. Von besonderer Brisanz wird hierbei die Frage sein, wie ein Verbraucher über das ihm zustehende Widerrufsrecht einschließlich der Konsequenzen des Widerrufs zu belehren ist. Eine ähnliche Frage ist gegenwärtig noch beim EuGH anhängig.21

Neben dem Widerrufsrecht dürfen die weiteren Pflichtinformationen nicht vergessen werden, wie sie die §§ 312 ff. BGB und Art. 246 a ff. EGBGB verlangen. Sofern es sich um entgeltliche Verträge handelt, sind selbstverständlich auch die weiteren Informationen (Zustandekommen des Vertrags; Button-Lösung etc.) zu beachten.

Auf den Beratungsplattformen, die Anwaltsleistungen zum Festpreis anbieten, werden sich die Beteiligten noch einmal genauer fragen müssen, wer eigentlich Vertragspartner des anfragenden Verbrauchers geworden ist und wer folglich die Widerrufsbelehrung samt der notwendigen Pflichtinformationen vorhalten muss.

VI. Fazit

Es zeigt sich wieder einmal, welche Tücken das Verbraucherschutzrecht mit sich bringt und wie sorgfältig in der Praxis damit umgegangen werden muss. Die Entscheidung des BGH kann erhebliche Auswirkungen für diejenigen Kanzleien haben, die sich auf ein Massengeschäft mit Verbrauchern konzentriert haben. Für ein organisiertes System sprechen werden dabei regelmäßig eine große Anzahl von Mitarbeitern, die nach außen nicht auftreten, und entsprechend gestaltete Internetauftritte. Ebenso erfasst sein wird der typische Strukturvertrieb über dritte Dienstleister, die die generierten Aufträge an kooperierende Anwaltskanzleien weiterleiten.

Wer von der Rechtsprechung des BGH betroffen ist, wird sich überlegen müssen, ob er nachträglich über das Widerrufsrecht belehrt und auf einen verständigen Verbraucher hofft, oder ob er stillhält und auf den Ablauf der Widerrufsfrist hofft.

 

 

1    Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 312 g Rn. 1; Buchmann, K&R 2016, 644, 645.

2    Siehe nur BGH, 27. 2. 2018 – XI ZR 224/17; 27. 2. 2018 – XI ZR 160/17; 23. 1. 2018 – XI ZR 298/17, WM 2018, 614; 10. 10. 2017 – XI ZR 450/16; 14. 3. 2017 – XI ZR 442/16, NJW-RR 2017, 812; 21. 2. 2017 – XI ZR 381/16, NJW-RR 2017, 886; 11. 10. 2016 – XI ZR 482/15, NJW 2017, 243.

3    Zur Kritik Seggewiße, NJW 2017, 243, 247; Schwab, JuS 2017, 461, 463.

4    Der Begriff wurde für diesen Beitrag statt der juristisch richtigen Bezeichnung Geschäftsbesorgungsvertrag (nach § 675 BGB) gewählt.

5    BT-Drs. 14/2658, S. 30; BGH, 7. 7. 2016 – I ZR 30/15, K&R 2017, 125 ff.

6    RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2011 über die Rechte der Verbraucher.

7    Siehe Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB (Fn. 1), § 312 Rn. 11, die zurecht darauf hinweist, dass bei Auslegungszweifeln eine Vorlage an den EuGH nicht durch eine enge Auslegung der Ausnahme zugunsten des Verbrauchers vermieden werden kann.

8    Zutreffend Kilian, AnwBl 2018, 224, 225; Rückebeil, VuR 2015, 396, 397; Markworth, AnwBl 2018, 214, 215.

9    AG Berlin-Charlottenburg, 15. 9. 2015 – 216 C 194/15, NJW-RR 2016, 184, 185; AG Kleve, 18. 5. 2017 – 35 C 434/16; AG Brandenburg, 13. 10. 2017 – 31 C 244/16, BRAK-Mitteilungen 2018, 50, 54 f.; AG Hildesheim, 8. 8. 2014 – 84 C 9/14, VuR 2015, 396; AG Offenbach, 9. 10. 2013 – 308 C 45/13; AG Düsseldorf, 16. 11. 2016 – 24 C 303/15, AnwBl 2017, 92, Rn. 19.

10  BGH, 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ■, Rn. 13.

11  Unverständlich daher die Hinweise, in: AG Berlin-Charlottenburg, 15. 9. 2015 – 216 C 194/15, Rn. 38, NJW-RR 2016, 184, 185; AG Hildesheim, 8. 8. 2014 – 84 C 91/14, VuR 2015, 396; AG Offenbach, 9. 10. 2013 – 380 C 45/13; die alle auch auf die Durchführung des Vertrages abstellen. Dafür gibt es im Gesetz keinen Anhaltspunkt; so auch Rückebeil, VuR 2015, 396, 397.

12  BGH, 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ■, Rn. 15.

13  BGH, 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ■, Rn. 17.

14  Grüneberg, in: Palandt, 77. Aufl. 2018, § 312 c Rn. 6; Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB (Fn. 1), § 312 c Rn. 33.

15  BGH, 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ■, Rn. 19.

16  RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2011 über die Rechte der Verbraucher.

17  BGH, 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ■, Rn. 19; BT-Drs. 4/2658 S. 30, BGH, 7. 7. 2016 – I ZR 30/15, K&R 2017, 125 ff., Rn. 51 = NJW 2017, 1024 Rn. 51 m. w. N.

18  BGH, 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ■, Rn. 22.

19  BGH, 23. 11. 2017 – IX ZR 204/16, K&R 2018, ■, Rn. 23.

20  So auch die Intention des Richtliniengebers, vgl. RL 2011/83/EU, ErwG 43; Grüneberg, in: Palandt (Fn. 14), Art. 229 § 32 EGBGB Rn. 1.

21  BGH, 15. 11. 2017 – VIII ZR 194/16, K&R 2018, 52 ff.; EuGH, Rs. C-681/17.

Autoren

Prof. Dr. Felix Buchmann

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