Kommunikation & Recht (K&R) 2013, 121: „Verstoß gegen fachliche Sorgfalt durch fehlende Grundpreisangabe im Online-Versandhandel“; Anmerkung zu OLG Köln, Urteil vom 19.10.2012 – 6 U 46/12

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I. Hintergrund

Mit Inkrafttreten der Sechsten Verordnung zur Änderung der Fertigpackungsverordnung,i die die RL 2007/45/EG vom 5. 9. 2007ii umsetzte, hat die Angabe von Grundpreisen eine deutlich größere Bedeutung erlangt. Festgelegte Verpackungsgrößen gibt es für viele Produkte nicht mehr, so dass der Grundpreis die einzige Vergleichsbasis für den Käufer darstellt. In Umsetzung der RL 98/6/EG vom 16. 2. 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse wurde die Verpflichtung zur Angabe von Grundpreisen in § 2 Preisangabenverordnung normiert. Über § 4 Nr. 11 UWG findet sie Eingang in das Lauterkeitsrecht. Verstöße gegen die Verpflichtung zur Angabe des Grundpreises in unmittelbarer Nähe zum Endpreisiii können daher von den nach § 8 Abs. 3 UWG Aktivlegitimierten mit zivilrechtlichen Mitteln verfolgt werden.iv

Nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktikenv ist eine Geschäftspraxis des Unternehmers gegenüber einem Verbraucher nur dann unlauter, wenn sie (1) den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und (2) in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen. Diese Anforderungen wurden im nationalen deutschen Recht in § 3 Abs. 2 S. 1 UWG umgesetzt, wobei der Gesetzgeber den Begriff der „fachlichen Sorgfalt“ gewählt hat. Allerdings ist das Verhältnis von § 3 Abs. 2 S. 1 UWG zu § 3 Abs. 1 UWG noch nicht abschließend geklärt. Eine Ansicht hält § 3 Abs. 2 S. 1 UWG nicht auf die irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken anwendbar,vi während die Gegenansicht insoweit keine Unterscheidung trifft.vii Eine weitere Ansicht hält § 3 Abs. 2 S. 1 UWG für überflüssig,viii der BGHix hielt beide Vorschriften für nebeneinander anwendbar.

7 Abs. 5 der UGP-Richtlinie stellt klar, dass das Weglassen bestimmter Informationen, auf die in Anhang II der Richtlinie verwiesen wird, stets als wesentlich im Sinne der Richtlinie gilt. Sie sind der richterlichen Abwägung damit entzogen. In Anhang II genannt ist auch Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnissex und damit die Pflicht zur Angabe von Grundpreisen. Lässt man § 3 Abs. 2 S. 1 UWG im Bereich der irreführenden Werbung einen eigenen Anwendungsbereich, bleibt die Frage, ob im Falle eines wesentlichen Verstoßes auch das Tatbestandsmerkmal der fachlichen Sorgfalt zwingend erfüllt ist. Das OLG Köln hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob vereinzelte Verstöße gegen die Pflicht zur Angabe von Grundpreisen im Internet einen Unterlassungsanspruch begründen oder ob einzelne „Ausreißer“ insbesondere das Einhalten der fachlichen Sorgfalt nicht ausschließen.

II. Die Entscheidung

Die Beklagte hatte im Rahmen ihrer (zahlreichen) Angebote (streitgegenständlich nur) in einem halben Dutzend dieser Angebote gegen die Verpflichtung zur Angabe des Grundpreises aus § 2 Abs. 1 S. 1 und 2; Abs. 3 S. 5 PAngV verstoßen und war deswegen von einem Wettbewerbsverband auf Unterlassung in Anspruch genommen worden. In ihrem Verteidigungsvorbringen stützte sich die Beklagte darauf, nicht gegen ihre fachliche Sorgfalt verstoßen zu haben. Bei den fehlerhaften Angaben habe es sich nur um vereinzelte „Ausreißer“ gehandelt. Sie seien durch Fehleintragungen sonst zuverlässiger Mitarbeiter oder Dienstleister in die auszufüllenden Onlineformulare gekommen.

Dieser Ansicht folgte das OLG Köln nicht. In der Entscheidung ließ es im Ergebnis offen, ob diese Entscheidung auf § 3 Abs. 2 S. 1 UWG oder auf § 3 Abs. 1 UWG gestützt wurde, da in jedem Fall auch eine Verletzung der fachlichen Sorgfalt durch die Verletzung unionsrechtlich begründeter Informationspflichten vorliege. Bereits der objektive Verstoß eines Unternehmers gegen § 2 PAngV führe zwingend zu einer Verletzung der fachlichen Sorgfalt, anzulegen sei ein objektiv-normativer Maßstab ohne Rücksicht auf Fahrlässigkeit oder sonstige subjektive Gesichtspunkte. Dies leitete das Gericht auch daraus ab, dass die Rechtsprechung in Fällen der versehentlichen Vorenthaltung von Pflichtinformationen das Erfordernis der Spürbarkeit regelmäßig bejaht. Allein die Tatsache, dass es sich um ein Massengeschäft im Internet handle, bedeute nicht, dass die Anforderungen an die fachliche Sorgfalt geringer zu bewerten seien, als bei einem stationären Händler. Eine Exkulpationsmöglichkeit nach § 831 Abs. 1. S. 2 BGB bestehe aufgrund des Anspruchs aus § 8 Abs. 2 UWG nicht.

III. Folgen für die Praxis

Einerseits sind Verstöße gegen die Angabe des Grundpreises in unmittelbarer Nähe zum Endpreis immer „wesentlich“ im Sinne des UWG. Andererseits muss man sich beim vorliegenden Sachverhalt fragen, ob die Regelungen des Lauterkeitsrechts für Unternehmer nicht zu unzumutbaren und unverhältnismäßigen Konsequenzen führen und ob nicht einer überbordenden Tendenz gerade auch durch das Tatbestandsmerkmal der „fachlichen Sorgfalt“ hätte Einhalt geboten werden können.

Das deutsche Lauterkeitsrecht setzt auf die – grundsätzlich bewährte – zivilrechtliche Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche und legt deren Durchsetzung insbesondere in die Hand der Wettbewerber selbst. Das Mittel der Abmahnung ist effizient und beendet die meisten lauterkeitsrechtlichen Streitigkeiten außergerichtlich durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Aber gerade in Sachverhalten wie dem vorliegenden muss die Frage gestattet sein, ob dieser Weg noch der richtige ist. Die Strafbewehrung ist in der Regel massiv, um die Ernsthaftigkeit des Unterlassungsversprechens zu gewährleisten. Vorliegend handelte es sich um Produkte, die nur wenige Euro kosten. Zudem handelte es sich – und das ist ganz entscheidend – nicht um einen Verstoß der Beklagten, der bei all ihren Angeboten verfolgt wurde, um sich systematisch einen Vorteil im Wettbewerb zu verschaffen, sondern um einzelne Ausreißer. Anders als bei den AGB, Kundeninformationen oder der Widerrufsbelehrung, die in der Regel einmal erstellt und dann für alle Angebote verwendet werden, müssen die Preise bei jedem neuen oder geänderten Artikel erneut eingegeben werden, sie werden folglich ständig „in die Hand genommen“ und unterliegen daher einer besonderen Fehleranfälligkeit. Wer eine Unterlassungserklärung wegen der fehlenden Angabe von Grundpreisen abgegeben hat (und daran ist er lebenslang gebunden!),xi wird früher oder später dagegen verstoßen und eine Vertragsstrafe verwirken. Dies zeigen die Praxiserfahrungen. Wenn an einem Artikel (wie z. B. bei den vorliegenden) dann nur wenige Cent verdient sind, kann eine Vertragsstrafe für kleinere Händler nicht nur Sanktionscharakter haben, sondern kann – in der Praxis immer wieder zu beobachten – auch ihre Existenz kosten. Ob der Marktaustritt eines Mitwettbewerbers und die damit einhergehende sinkende Wettbewerbsintensität zu Gunsten der absolut fehlerfreien Angabe der Verbraucherinformationen der gewünschte Weg sein kann, ist fraglich. Bedenklich ist, wenn die Empfehlung in der Praxis lauten muss, im Falle von Verstößen gegen § 2 PAngV keine Unterlassungserklärung abzugeben, um dem Risiko einer Vertragsstrafe zu entgehen. Das System der Abmahnung ist damit konterkariert.

Dem Tatbestandsmerkmal der „fachlichen Sorgfalt“ ist mehr beizumessen als die Feststellung, dass jeder wesentliche Verstoß auch nicht der fachlichen Sorgfalt genügt. Fachliche Sorgfalt darf nicht mit „überhaupt kein Fehler“ gleichgesetzt werden, dann hätte auf das Merkmal auch verzichtet werden können. Dort, wo nicht systematisch Lauterkeitsverstöße begangen werden, um sich Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen, sondern nur vereinzelt Produkte nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, ist die Marktverwirrung gering und die Irreführung des Verbrauchers überschaubar. Das scharfe Schwert des Lauterkeitsrechts schießt hier deutlich über das Ziel hinaus, die Folgen sind unverhältnismäßig. Verbraucherschutz bedeutet auch, für Vielfalt bei den Angeboten zu sorgen. Das Instrument der Angst vor Abmahnungen oder Vertragsstrafen ist dafür keine gute Wahl.

 

 

i     FertigPackVÄndV v. 11. 6. 2008, BGBl. I, S. 1079.

ii    RL 2007/45/EG zur Festlegung von Nennfüllmengen für Erzeugnisse in Fertigpackungen.

iii   Ausführlich dazu Buchmann, K&R 2012, 90 ff.

iv   Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 Rn. 11.142 ff.

v    RL 2005/29/EG vom 11. 5. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern.

vi   Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 4), UWG, 31. Aufl. 2013, § 3 Rn. 8.

vii  Fetzer, WRP 2010, 677, 682 f.

viii Scherer, WRP 2010, 586, 592.

ix   BGH, 4. 2. 2010 – I ZR 66/09, WRP 2010, 1143 „Gallardo Spyder“.

x    RL 98/6/EG vom 16. 2. 1998.

xi   Vgl. zu den Lösungsmöglichkeiten Buchmann, WRP 2012, 1345 ff.

Autoren

Prof. Dr. Felix Buchmann

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