Kommunikation & Recht (K&R) 2014, 348: „(Un)zulässigkeit von „Tippfehler“-Domains“, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 22. Januar 2014 – I ZR 164/12″

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(Un)zulässigkeit von „Tippfehler“-Domains

I. Hintergrund

Die Besonderheit der Domainvergabe liegt darin, dass jede Domain nur einmal vergeben werden kann, ganz gleich, ob es sich um einen (Fantasie-) Namen handelt oder um eine generische Second-Level-Domain. Grundsätzlich gilt bei der Vergabe der Domains der Prioritätsgrundsatz, der nur in Ausnahmefällen durchbrochen wird.1 Während geklärt zu sein scheint, dass der Inhaber einer Second-Level-Domain keinen Unterlassungs-, Löschungs- oder Übertragungsanspruch gegen den Inhaber einer identischen Second-Level-Domain unter einer anderen Top-Level-Domain hat,2 und auch der Inhaber einer Second-Level-Domain mit Umlaut (z. B. „ä“) gegen eine identische Second-Level-Domain ohne Umlaut (z. B. „ae“) keine Ansprüche herleiten kann, stand die höchstrichterliche Klärung der Frage noch aus, ob und welche Ansprüche im Falle von sogenannten „Vertipper“-Domains (Typosquatting) bestehen.

Das Wesen des Typosquatting besteht darin, z. B. durch Weglassen einzelner Buchstaben einer anderen, bereits bestehenden Second-Level-Domain, eine Ähnlichkeit mit der bestehenden und üblicherweise bekannten Domain zu erzeugen. Dabei geht es dem Anbieter der Vertipper-Domain in der Regel nicht darum, eine Verwechslungsgefahr durch die Ähnlichkeit hervorzurufen,3 sondern lediglich darum, das Versehen bzw. die Flüchtigkeit des Internetnutzers auszunutzen, wenn dieser sich vertippt. Internetnutzer, die eigentlich auf der Suche nach einer bestimmten Domain waren, sich dann allerdings vertippt haben, gelangen so zu den Inhalten der Tippfehler-Domain.

Warum nicht, mag man sich fragen. Statt eines Tippfehlers hätte man sogar die identische Second-Level-Domain registrieren können, nur unter einer anderen Top-Level-Domain, oder ggf. ein „ä“ durch ein „ae“ ersetzen können. Worin soll die Besonderheit bestehen, wenn man den Tippfehler eines Internetnutzers ausnutzt und dieser auf eine Seite mit Werbung gelangt, statt zu den eigentlich gewünschten Informationen? Der Beklagte hätte mit dem Kennzeichen der Klägerin eine AdWords-Kampagne starten können – solange die Treffer erkennbar als Werbung von den Suchergebnissen abgegrenzt werden, wäre dies kein Problem gewesen.4

Über die Fragen des Namensrechts und des Lauterkeitsrechts in Bezug auf die Domains „wetteronline.de“ und „wetteronlin.de“ hatte der BGH zu urteilen und hat insoweit Grundsätze für die Zulässigkeit von „Vertipper“-Domains aufgestellt.

II. Die Entscheidung

Die Klägerin betreibt unter der Domain wetteronline.de eine durch Werbung finanzierte Internetseite, auf der sie über das Wetter informiert und Dienstleistungen zu den Themen Wetter und Klima erbringt. Der Beklagte registrierte die Domain wetteronlin.de und leitete Besucher dieser Seite auf eine andere Seite um, auf der private Krankenversicherer gegen ein Entgelt für ihre Leistungen warben. Die Klägerin beantragte, den Beklagten zu verurteilen, „den Domain-Namen ‚wetteronlin.de, als Titel für Internet-Homepages und/oder als Second-Level-Domain-Bezeichnung ‚www.wetteronlin.de, zu benutzen und/oder benutzen zu lassen“. Ferner verlangte sie die Einwilligung zur Löschung der Domain, Auskunft und Feststellung der Pflicht zum Schadensersatz. Das Berufungsgericht hatte den Beklagten antragsgemäß verurteilt, die Ansprüche ergäben sich aus den §§ 8, 9, 4 Nr. 10 UWG sowie aus §§ 12, 823, 1004 BGB. Zu Unrecht, wie der BGH befand.

Eine Verletzung des Namensrechts liege nicht vor. § 12 BGB bleibe zwar neben den kennzeichenrechtlichen Ansprüchen aus den §§ 5, 15 MarkenG anwendbar, wenn mit der Löschung eines Domainnamens eine Rechtsfolge begehrt werde, die aus kennzeichenrechtlichen Vorschriften grundsätzlich nicht hergeleitet werden kann.5 Allerdings stehe der Klägerin an dem Wortbestandteil „Wetteronlin“ kein Namensrecht zu. Es fehle schon an der originären Unterscheidungskraft, weil es sich lediglich um die Beschreibung einer Tätigkeit handle, nämlich das Anbieten von Online-Dienstleistungen über das Wetter. Über die Frage der Verkehrsgeltung von „Wetteronline“ sei nichts festgestellt worden. Mangels namensmäßiger Unterscheidungskraft schieden daher Ansprüche aus dem Namensrecht insgesamt aus.

Damit bestünde auch der Anspruch auf Löschung der Domain nicht, wofür eine unberechtigte Namensanmaßung nach § 12 S. 1 Var. 2 BGB Voraussetzung ist. Diese könne auch schon mit der bloßen Registrierung einer Domain gegeben sein, wenn bereits mit der Registrierung eine erhebliche Beeinträchtigung der namensrechtlichen Befugnisse verbunden ist.6 Eine solche sei nur gegeben, wenn ein Dritter unbefugt den gleichen Namen gebraucht, dadurch eine Zuordnungsverwirrung eintritt und schutzwürdige Interessen des Namensträgers verletzt werden. Die Klägerin könne weiterhin die Domain wetteronline.de nutzen, auf die Vertipper-Domain sei sie nicht angewiesen, und auch ein Nutzungsinteresse daran sei nicht ersichtlich.

Ein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten bestehe zwar grundsätzlich aus den §§ 3, 4 Nr. 10 UWG, dieses beschränke sich allerdings auf die konkrete Verletzungsform und begründe kein generelles Nutzungsverbot, wie noch vom Berufungsgericht angenommen. Zunächst stellte der BGH klar, dass die Parteien Mitbewerber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG seien, beide böten Dritten ihre Seiten für Werbung an. Die stets erforderliche Gesamtwürdigung ergebe auch, dass im Verhalten des Beklagten eine gezielte Behinderung der Klägerin vorliege. Die Domain „wetteronlin.de“ sei ausschließlich mit dem Ziel registriert worden, Nutzer auf die Seite zu leiten, die eigentlich auf die Seite der Klägerin gelangen wollten. Dies sei zwar kein Ausnutzen einer fremden Einrichtung,7 allerdings ergebe sich die Unlauterkeit unter dem Gesichtspunkt des Abfangens von Kunden. Der Beklagte stelle sich zwischen die Klägerin und deren potentielle Kunden, indem er vorhersehbare Versehen ausnutze, wodurch der Klägerin Kunden verloren gingen, weil diese durch Verärgerung über die Werbung einen anderen Wetterdienst aufsuchen würden. Dadurch seien auch Verbraucherinteressen beeinträchtigt, denn kein Verbraucher, der auf der Suche nach wetteronline.de sei, erwarte dort einen Vergleich von Versicherungsanbietern.

An diesem Ergebnis ändere auch die Tatsache nichts, dass der Domainname beschreibend ist, denn auch beschreibenden Domains dürfe nicht per se der lauterkeitsrechtliche Schutz entzogen werden, da dem Rechtsverkehr bekannt sei, dass auch solche Domains kommerziell genutzt würden. Ebenso wenig sei eine Behinderungsabsicht erforderlich.8 Unlauter sei eine Wettbewerbshandlung bereits dann, wenn das Eigeninteresse des Handelnden unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Wettbewerbsfreiheit weniger schutzwürdig ist als die Interessen der übrigen Beteiligten und der Allgemeinheit. Werde der Besucher der Tippfehler-Domain „sogleich und unübersehbar“ darauf hingewiesen, dass er sich nicht auf der eigentlich gewünschten Seite befinde, sei davon auszugehen, dass die Klägerin nicht durch verärgerte Nutzer werberelevante Besucher verlieren werde. Dann fehle es an der Unlauterkeit und folglich an einem Anspruch auf Löschung der Domain.

III. Anmerkung

Die Entscheidung zieht eine Grenze zwischen lauterem Leistungswettbewerb und der unlauteren Umleitung des Kundenstroms bei Vertipper-Domains. Im Ergebnis birgt sie zwar keine nennenswerten Überraschungen und bestätigt in vielen Punkten die bereits ergangene Rechtsprechung des BGH zum Domainrecht. Inhaltlich musste der BGH allerdings verschiedene Hürden überwinden, um das Urteil zu begründen, die vergleichbare Sachverhalte ausschließen. Hauptschwierigkeit dabei war die Tatsache, dass der Klägerin aus Namens- und Kennzeichenrecht ein Unterlassungsanspruch nicht zustand. Für die Eröffnung des Lauterkeitsrechts musste daher das Wettbewerbsverhältnis auf das Anbieten von Werbung gestützt werden. Wenn der Beklagte folglich keine Werbung auf seiner Seite geschaltet hätte, also z. B. einen Onlineshop für Tiernahrung betreibt, würden die Gründe des BGH – frustrierte Nutzer und umgeleitete Kunden – ohne Weiteres fortgelten. Auch diesen Onlineshop erwarten Verbraucher unter der Vertipper-Domain nicht. Allerdings wäre ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zweifelhaft, und mangels Wettbewerbsverhältnis wären die UWG-Regelungen nicht eröffnet.

Auch in der Begründung ist fraglich, ob sich die unlautere Behinderung auf das Abfangen von Kunden stützen lässt und nicht doch eher auf das Ausnutzen einer fremden Einrichtung.9 Die Argumentation des BGH ist insoweit bedenklich, als sich der Abfangende zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellen muss, um auf diese Weise dem Kunden eine Änderung seines Entschlusses aufzudrängen, das Angebot des Mitbewerbers in Anspruch zu nehmen.10 Der Inhaber einer Tippfehler-Domain stellt sich aber nicht gezielt – z. B. durch Hervorrufen einer Verwechslung, durch unter Druck setzen, oder durch Anlocken oder eine unangemessene unsachliche Beeinflussung – zwischen den Suchenden und den Mitbewerber. Vielmehr bleibt er unentdeckt im Hintergrund und tritt nur dann in Erscheinung, wenn die Tippfehler-Domain „gezielt“ aufgerufen wird. Folglich nutzt der Betreiber lediglich eine Unachtsamkeit des Suchenden aus, die allerdings zwingend mit der bestehenden (fehlerfreien) Domain verknüpft ist. Wenn es dem Inhaber der Tippfehler-Domain darauf nicht ankommen würde, hätte er eine andere Domain gewählt. Dies ist typisch für das Ausnutzen einer fremden Einrichtung.11

Auch wenn man die lauterkeitsrechtliche Erheblichkeit bejahen mag, so liegt sie im Falle von generischen Second-Level-Domains eher am unteren Ende der Skala. Es hätte genauso nahe gelegen, das Verhalten als noch vom lauteren Leistungswettbewerb gedeckt anzusehen. Ohnehin wird die Entscheidung nur in solchen Fällen Relevanz haben, in denen ein Wettbewerbsverhältnis vorliegt. Wer sicher gehen möchte, weist gleich auf der Startseite der Vertipper-Domain darauf hin, dass es sich nicht um die gewünschte Seite handelt. Ob dies einen Verbraucher allerdings weniger verärgert, ist zweifelhaft, nach der neuen Rechtsprechung des BGH aber ebenfalls geeignet, den lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch zu entkräften.

 

 

1    Vgl. z. B. BGH, 22. 11. 2001 – I ZR 138/99, K&R 2002, 309 ff.– shell.de; OLG Stuttgart, 26. 7. 2007 – 7 U 55/07, K&R 2007, 657 ff.

2    BGH, 19. 2. 2009 – I ZR 135/06, K&R 2009, 473 ff. – ahd.de; BGH, 8. 2. 2007 – I ZR 59/04, K&R 2007, 471 ff. – grundke.de; OLG Frankfurt a. M., 26. 10. 2010 – 11 U 30/10.

3    OLG Hamburg, 22. 5. 2003 – 3 U 18/03, GRUR-RR 2003, 224 – 0800 Einwahl; nicht wettbewerbswidrig aber das Voranstellen von AA vor einen Unternehmensnamen, vgl. OLG Hamm, 5. 10. 2004 – 4 U 96/04, WRP 2005, 525.

4    BGH, 13. 1. 2011 – I ZR 125/07, K&R 2011, 578 ff. = WRP 2011, 1160, Rn. 35 – Bananabay II.

5[5]  Mit Verweis auf BGH, 9. 11. 2011 – I ZR 150/09, K&R 2012, 204 ff. = WRP 2012, 330 – Basler Haar-Kosmetik.

6    Mit Verweis auf BGH, K&R 2008, 735 ff. = GRUR 2008, 1099 Rn. 18 – afilias.de; BGH, 13. 3. 2008 – I ZR 151/05, K&R 2008, 607 ff. = WRP 2008, 1353 – Metrosex.

7    So aber Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl. 2014, § 4 Rn. 10.27 b.

8    Mit Verweis auf BGH, 19. 2. 2009 – I ZR 135/06, WRP 2009, 803 – ahd.de.

9    Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 7), § 4 Rn. 10.27 b.

10  BGH, 5. 2. 2009 – I ZR 119/06, K&R 2009, 641 ff. = WRP 2009, 1086 – Änderung der Voreinstellung II; BGH, 24. 11. 2011 – I ZR 154/10, WRP 2012, 817 – Mietwagenwerbung; BGH, 2. 10. 2008 – I ZR 48/06, GRUR 2009, 416 – Küchentiefstpreis-Garantie.

11  Vgl. etwa ÖOGH, 14.06.1977 - 4 Ob 333/77,, ÖBl 1977, 154 – Austriatrans II; im Ergebnis so auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 7), § 4 Rn. 10.27 b.

Autoren

Prof. Dr. Felix Buchmann

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