I. Privilegierung des Unternehmers bei Verwendung der Musterwiderrufsbelehrung
In der Rechtsprechung des III., VIII. und IX. Zivilsenats des BGH war bislang stets anerkannt, dass die Belehrung eines Verbrauchers über sein Widerrufsrecht dergestalt, sein Widerrufsrecht beginne „frühestens“ mit Erhalt dieser Widerrufsbelehrung, nicht in der erforderlichen Weise eindeutig ist. Ein Verbraucher sei nicht in der Lage, den Beginn seiner Widerrufsfrist ohne Weiteres zu erkennen.1 Dies entsprach auch der überwiegenden Ansicht in der Literatur, das Widerrufsrecht beginnt weder „frühestens“ noch „spätestens“, sondern zu einem ganz exakt zu bestimmenden Zeitpunkt.2
Allen bislang ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen war allerdings gemein, dass in keinem Fall exakt das vom Verordnungsgeber im Anhang zu § 14 BGB-InfoV a. F. vorgegebene Muster verwendet worden war. So hat der BGH bereits entschieden, dass sich ein Unternehmer nicht auf die Privilegierung des Musters berufen kann, wenn er dieses nicht exakt verwendet.3 In der vorliegenden Entscheidung musste sich der VIII. Zivilsenat nunmehr mit der bislang offen gelassenen Frage beschäftigen, ob sich ein Unternehmer auf eine wirksame Belehrung über das Bestehen eines Widerrufsrechts berufen kann, wenn er sich exakt an das vorgegebene Belehrungsmuster gehalten hat. Zu entscheiden war dafür der in der Literatur und Rechtsprechung viel diskutierte Streit, ob die Fiktion der Gesetzlichkeit des Belehrungsmusters (Anlage 1 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F.) von der Ermächtigungsgrundlage (Art. 245 Nr. 1 EGBGB a. F.) gedeckt war oder nicht, also die Frage, ob ein Verstoß gegen die §§ 312 c, 355 BGB a. F. zur Nichtigkeit der in der Normenpyramide nachrangigen Verordnung führt.
Die eine Ansicht ging davon aus, dass die Exekutive den Umfang der gesetzlichen Anforderungen an die Belehrung nicht nach ihrem Belieben ändern dürfe. Das BGB binde mit seinen Voraussetzungen den Verordnungsgeber.4 Auch sei nicht ersichtlich, warum der Verbraucherschutz hinter dem Vertrauensschutz der Verwender der Musterbelehrung zurücktreten solle.
Die andere Ansicht räumte dem Verordnungsgeber einen weiteren Spielraum ein, der Umfang der Belehrung könne ergänzt und eingeschränkt werden, dies sei von der Verordnungsermächtigung noch gedeckt.5 Ein Mangel in der Belehrung müsse sich zudem im konkreten Einzelfall auswirken.6
Der BGH hat sich der zweiten Ansicht angeschlossen und sich damit gegen den (ohnehin überzogenen) Verbraucherschutz und für den Vertrauensschutz der Unternehmer in die Vorgaben des Verordnungsgebers entschieden. Dieser Weg hat sich in den früheren Entscheidungen schon angedeutet, ist aber vor dem Hintergrund der eher verbraucherfreundlichen Rechtsprechung keineswegs selbstverständlich gewesen. Wer das alte Belehrungsmuster exakt verwendet hat, ist privilegiert und kann sich auf den Schutz des § 14 BGB-InfoV berufen. Davon war seinerzeit wohl auch der Verordnungsgeber ausgegangen, der das von Anfang an untaugliche Muster trotz erheblicher Kritik in der Literatur,7 die die Fehler bereits konkret benannte, auch im Rahmen der ersten Überarbeitung im Jahr 2004 nahezu nicht änderte.8
II. Die Entscheidung
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Leasingnehmer hatte im November 2006 einen Pkw geleast, bezahlte allerdings nach etwas mehr als der Hälfte der Leasingzeit ab Juni 2009 die Leasingraten nicht mehr, so dass die Leasinggesellschaft im September 2009 den Vertrag außerordentlich kündigte und das Fahrzeug verwertete. Für rückständige Leasingraten, Restwertausgleich und Kosten verlangte sie vom beklagten Leasingnehmer knapp 20.000 Euro. Der Beklagte widerrief seine Vertragserklärung im Februar 2010.
Ein Widerrufsrecht stand dem Beklagten in diesem Zeitpunkt nach Auffassung des BGH nicht mehr zu. Zwar sei die Belehrung über den Fristbeginn mit „frühestens“ nicht in der erforderlichen Weise eindeutig und umfassend. Die Belehrung gelte allerdings nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F. als ordnungsgemäß, sofern das in der Anlage zu dieser Norm befindliche Muster verwendet worden ist. Der Verwender der Musterbelehrung könne sich auf die Schutzwirkung berufen, da die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterbelehrung von der Ermächtigungsgrundlage (Art. 245 Nr. 1 EGBGB) trotz der Abweichung vom Deutlichkeitsgebot gedeckt sei. Dabei beruft sich der BGH insbesondere auf die Gesetzesmaterialien,9 wonach eine Vereinfachung für die Geschäftspraxis der Unternehmer hinsichtlich der gesetzlichen Belehrungspflichten, Rechtssicherheit und die Entlastung der Rechtspflege Ziel der Musterbelehrung waren. Dieses gesetzgeberische Ziel würde nicht erreicht, wenn sich Unternehmer nicht auf das zur Verfügung gestellte Muster verlassen könnten. Zudem sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass eine Widerrufsbelehrung einen Verbraucher nicht umfassend über jedes Detail informieren, sondern sie müsse ihm nur grundsätzlich seine Rechte verdeutlichen müsse.10 Daher sei nicht ersichtlich, dass mit dem Belehrungsmuster der eröffnete Gestaltungsspielraum überschritten worden sei. Der Gesetzgeber habe bewusst die Gesetzlichkeitsfiktion gewählt, auch um die Musterbelehrung einem Streit über deren Ordnungsmäßigkeit zu entziehen.
III. Die Konsequenzen
Die Entscheidung ist im vorliegenden Fall im Ergebnis richtig, die Begründung gibt allerdings Anlass zum Nachdenken. Immerhin drei Senate des BGH waren sich einig, dass eine Belehrung über den Fristbeginn mit dem Hinweis „frühestens“ nicht dem Deutlichkeitsgebot der §§ 312 c, 355 BGB a. F. entspricht.
Daran lässt auch diese Entscheidung keinen Zweifel aufkommen. Das alte Belehrungsmuster allerdings in dieser Pauschalität mit dem Hinweis auf gesetzgeberische Ziele11 und das Vertrauen des Rechtsverkehrs aus Sicht des Unternehmers inter omnes zu „retten“, war nicht zwingend geboten. Zum einen werden die Belange der Verbraucher mit keinem Wort erwähnt – ihnen gegenüber ist die Belehrung nach wie vor intransparent. Zum anderen ist die Entscheidung für alle diejenigen, die unter dem Eindruck tausender Abmahnungen und der daraufhin nahezu einheitlich ergangenen Rechtsprechung12 kein Vertrauen in die – evident unzureichende – Musterbelehrung hatten und sich deshalb entschlossen haben, auf eigene Faust ein richtigere Belehrung zu entwerfen13 – möglicherweise eine böse Überraschung. Eine Privilegierung steht ihnen nicht zur Seite.
Das eigentliche Problem stellt in der Diskussion § 355 Abs. 3 S. 3 BGB dar. Er normiert, dass das Widerrufsrecht nicht erlischt, wenn ein Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde und hat ein unendliches Widerrufsrecht zur Folge. Diese – unsinnige – Norm hat mit Verbraucherschutz nichts zu tun. Sie führt vielmehr dazu, dass sich die Rechtsprechung mit der Frage beschäftigen muss, ob sich ein Verbraucher noch Jahre nach Vertragsschluss – den er zuvor nie in Zweifel gezogen hat und dessen Inhalt er vereinbarungsgemäß gelebt hat – ohne jede Konsequenz für ihn vom Vertrag lösen kann; denn eine falsche Belehrung führt auch dazu, dass kein Wertersatz zu bezahlen ist, und er könnte sogar noch die Verzinsung des Kaufpreises verlangen.14
Der BGH hätte seine Entscheidung daher genauso gut auch auf § 242 BGB und den Einwand der Verwirkung stützen können. Stattdessen hat der BGH einen Weg der vollständigen nachträglichen Legalisierung gewählt und so mit einem Federstrich jeglicher weiterer Diskussion einen Riegel vorgeschoben und mit dem von ihm eingeschlagenen Weg vermutlich hunderttausende Fernabsatzverträge gerettet, die alle aufgrund einer falschen Belehrung praktisch jederzeit hätten widerrufen werden können.15 Eine Lösung über § 242 BGB, wie sie wohl das Berufungsgericht mit dem Hinweis in Betracht gezogen hat, der Beklagte habe weder im Laufe des Jahres 2006 noch sonst zu einem Zeitpunkt vor Kündigung des Vertrags durch die Klägerin Anstalten gemacht, von seinem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen, wäre eben nur eine Entscheidung inter partes gewesen.
Der vom BGH gewählte Weg eröffnet den Abgemahnten, die vor dem Hintergrund der zahlreichen untergerichtlichen Entscheidungen wegen des „frühestens“ oder sonst einer Formulierung in der Musterbelehrung eine Unterlassungserklärung abgegeben haben, obgleich sie exakt das Muster verwendeten, die Möglichkeit, den Unterlassungsvertrag außerordentlich zu kündigen. Dies sollte vor dem Hintergrund der knappen Kündigungsfristen16 unbedingt zeitnah geprüft werden. Auch für die folgenden Belehrungsmuster dürfte damit klar sein, dass sie – gleich, ob man sie für hinreichend richtig hält – den Unternehmern einen privilegierenden Schutz bieten. Die Rechte der Verbraucher haben eine Einschränkung erlitten – allerdings an einer Stelle, die angesichts des überzogenen Verbraucherschutzniveaus wahrlich zu verschmerzen ist.
1 BGH, 9. 12. 2009 – VIII ZR 219/08, K&R 2010, 181 ff.; 1. 10. 2010 – VIII ZR 82/10, K&R 2011, 185 ff.; 2. 2. 2011 – VIII ZR 103/10; 28. 6. 2011 – XI ZR 349/10; 1. 3. 2012 – III ZR 83/11.
2 Buchmann, MMR 2007, 347, 351; Witt, NJW 2007, 3759, 3760; Masuch, BB 2005, 344, 345; Bodendiek, MDR 2003, 1, 3.
3 BGH, 2. 2. 2011 – VIII ZR 103/10.
4 OLG Schleswig, 25.10.2007 – 16 U 70/07, OLGR 2007, 929, 931; OLG Jena, 28. 9. 2010 – 5 U 57/10; Masuch in MüKo BGB, 5. Aufl., 2007, § 355, Rn. 57; Kaiser, in: Staudinger, BGB, 2003, Art. 245 EGBGB, Rn. 13; Föhlisch, Das Widerrufsrecht im Onlinehandel, 2009, S. 432 ff.; Buchmann, MMR 2007, 347, 348.
5 Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl. 2010, § 14 BGB-InfoV, Rn. 6; Bodendiek, MDR 2003, 1, 3; OLG Koblenz, 9.1.2006 – 12 U 740/04, NJW 2006, 919, 921.
6 OLG Frankfurt a. M., 22.6.2009 – 9 U 111/08, OLGR 2009, 849; Ring, in: AnwKomm z. BGB, 2005, § 14 BGB-InfoV.
7 Bodendiek, MDR 2003, 1, 3; Masuch, NJW 2002, 2931, 2932.
8 Immerhin wurde die Musterbelehrung geschlechtsneutral formuliert – eine „bemerkenswerte Prioritätensetzung“, wie Masuch, BB 2005, 344, 347 feststellt.
9 BT-Drucks. 14/7052, S. 208.
10 BT-Drucks. 16/3595, S. 2.
11 Dann müsste z.B. § 97a Abs. 2 UrhG von der Rechtsprechung einen deutlich weiteren Anwendungsbereich erhalten.
12 Vgl. nur LG Halle, 13. 5. 2005 – 1 S 28/05, K&R 2006, 418 ff.; KG Berlin, 5. 12. 2006 – 5 W 295/06, K&R 2007, 104 ff.; OLG Hamm, 15. 3. 2007 – 4 W 1/07, K&R 2007, 324 f.
13 Vgl. z. B. den Lösungsvorschlag von Buchmann, MMR 2007, 347 ff., zustimmend OLG Hamm, 18. 10. 2007 – 4 U 126/07, MMR 2008, 176 f.
14 Föhlisch/Buchmann, MMR 2010, 3 ff.
15 Bei einem Unternehmenskauf war dies im Rahmen der legal due diligence unbedingt zu berücksichtigen.
16 Starre Fristen gibt es nicht, jedenfalls die 6-Monats-Frist des § 11 UWG sollte die absolute Obergrenze bilden.