Neue EuGH-Vorlage im Datenschutz – Besteht ein unionsrechtlicher Unterlassungsanspruch?

In einem von uns in den Vorinstanzen auf Beklagtenseite geführten Verfahren hat der BGH nun entscheidende Fragen zu dem Umfang der Betroffenenrechte nach der DSGVO dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Hintergrund

Im Rahmen eines Bewerbungsprozesses, das über den Messenger-Dienst XING stattfand, stand ein Bewerber, der Kläger, mit einem Unternehmen, der Beklagten, in Kontakt. Am 23.10.2018 sendete die Beklagte über besagten Messenger-Dienst eine Nachricht, die für den Kläger bestimmt war, in der unter anderem sowohl Nachname und Geschlecht des Klägers als auch die Informationen, dass er sich als Händler beworben habe und dessen Gehaltsvorstellungen nicht erfüllt werden könnten, enthalten waren. Diese Nachricht wurde jedoch aufgrund eines Versehens nicht an den Kläger, sondern einen unbeteiligten Dritten gesandt. Daraufhin informierte dieser den Kläger über den Vorfall unter Versand der streitgegenständlichen Nachricht. Nachdem der Kläger später erfuhr, dass er im weiteren Bewerbungsverfahren nicht weiter berücksichtigt werde, mahnte er die Beklagte unter Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ab. Zudem forderte er die Beklagte zum Schadensersatz auf. Im weiteren Verlauf bat die Beklagte den Dritten um Löschung der streitgegenständlichen Nachricht und darum, diese nicht weiter zu verbreiten.

Der Kläger erhob daraufhin Klage vor dem LG Darmstadt.

Urteil des LG Darmstadt v. 26.05.2020 – 13 O 244/19

Das LG Darmstadt entschied, ein Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten ergebe sich aus §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. Art. 6 DSGVO. Eine Sperrwirkung der DSGVO gegenüber nationalem Recht ergebe sich nicht. Es sei unerheblich, ob ein Unterlassungsanspruch explizit geregelt ist, eventuell könne sich ein solcher aus der Auslegung des Art. 17 DSGVO ergeben, was das Gericht aber offenließ. Vielmehr könne nur durch Annahme eines Unterlassungsanspruchs ein lückenloser Individualrechtsschutz hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten von natürlichen Personen gewährleistet werden, die in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG eingreift. Das Gericht stellte fest, dass die Weitergabe der Daten mangels Einwilligung des Klägers rechtswidrig war, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO darstellten und die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht widerlegt werden könne.

Ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wurde vom LG Darmstadt bejaht, da nicht nur eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bestand, sondern auch ein Schaden dadurch eingetreten war, dass der Kläger die Kontrolle darüber verloren hatte, wer von seinen persönlichen Informationen Kenntnis erlangen würde. Es sei jedenfalls nicht erforderlich gewesen, konkrete Nachteile vorzutragen.

Berufungsinstanz: Urteil des OLG Frankfurt v. 02.03.2022 – 13 U 206/20

Das OLG Frankfurt bejahte ebenfalls einen Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten, begründet diesen aber aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO, sodass ein Rückgriff auf §§ 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 BGB nicht erforderlich sei. Auch die erforderliche Wiederholungs- oder zumindest Erstbegehungsgefahr sei gegeben. Ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wurde vom OLG Frankfurt hingegen abgelehnt, da kein konkreter Schaden dargelegt worden sei, jedenfalls sei ein „Schmach“-Gefühl, daraus, dass offengelegt wurde, dass der Kläger in den Gehaltsverhandlungen unterlegen gewesen sei, nicht ausreichend.

Zentrale Fragen in der Revisionsinstanz: BGH, Beschl. v. 26.09.2023 – VI ZR 97/22

Kann der DSGVO ein Unterlassungsanspruch entnommen werden? Und entfaltet die DSGVO gegenüber dem deutschen Recht eine Sperrwirkung? Angenommen werden kann, dass die DSGVO als höherrangiges Recht grundsätzlich jegliche Anwendung des deutschen Rechts sperrt, aber besteht hinsichtlich Unterlassungsansprüchen eine Öffnungsklausel? Reicht auch allein die Erwägung, dem Individualrechtsschutz werde ohne die Anwendung nationalen Rechts nicht ausreichend Rechnung getragen? Oder schließt Art. 79 DSGVO nach Sinn und Zweck und Systematik weitere gerichtliche Rechtsbehelfe gegen Verantwortliche aus? Und nicht zuletzt: Bietet Art. 18 Abs. 1 lit. d DSGVO als vorläufiger Sicherungsanspruch auf Einschränkung der Verarbeitung ausreichend Grundlage für einen Unterlassungsanspruch?

Fragen über Fragen, denen sich nun der EuGH zuwenden muss. Namentlich wurden ihm neben einigen weiteren insbesondere folgende Fragen vorgelegt:

  • Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt? Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben? (Vorlagefrage 1)
  • Weiterhin wurde die Bedeutung der Wiederholungsgefahr im Rahmen von ggf. möglichen DSGVO-Unterlassungsansprüchen hinterfragt (Vorlagefrage 2)
  • Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Einsatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen? (Vorlagefrage 3)

Nicht zuletzt stellte sich die Frage nach den Anforderungen an den Schaden, der im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO verlangt werden muss, namentlich: Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich? Und wie würde sich ein etwaiger Unterlassungsanspruch auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch auswirken?

Viele spannende Fragen, denen sich nun (endlich) der EuGH widmen darf.

Bildnachweis: Alona Horkova

Autoren

Prof. Dr. Felix Buchmann

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